„Schlafwandelt die Welt in eine Krise?“
Weltrisikobericht des WEF „Schlafwandelt die Welt in eine Krise?“
16. Januar 2019
Der aktuelle Risikobericht des Weltwirtschaftsforums erkennt zunehmende globale Gefahren, vor allem ökologische – aber keinen gemeinsamen Willen, sie zu meistern.
Extremwetterereignisse, Versagen im Kampf gegen den Klimawandel und bei der Anpassung, Naturkatastrophen, Datenkriminalität, Cyber-Attacken, menschengemachte Umweltkatastrophen, umfangreiche unfreiwillige Migration: Das sind nur die wahrscheinlichsten globalen Risiken, die der aktuelle „Global Risk Report“ des Weltwirtschaftsforums (WEF) auflistet.
Zuversicht und Optimismus sucht man in dem von WEF-Präsident Børge Brende, einem früheren norwegischen Umwelt- und Wirtschaftsminister, in London vorgestellten Bericht weitgehend vergeblich. Die Tonalität erinnert eher an die Alarm-Rufe von Umweltschutz-Organisationen und Klimaforschern. „Schlafwandelt die Welt in eine Krise?“ Mit dieser Suggestiv-Frage beginnt die 107-seitige Studie. „Die Globalen Risiken nehmen zu, aber der kollektive Wille, sie zu bekämpfen, schwächt sich ab. Stattdessen nimmt die Spaltung zu.“ Eine der Kapitelüberschriften lautet: „Out of Control“ (Außer Kontrolle), eine andere: „Fight or Flight“ (Kampf oder Flucht).
Den Klimawandel und damit verbundene Risiken halten die Autoren, beziehungsweise 916 befragte Führungspersonen und Meinungsmacher aus Wirtschaft, Politik, Forschung und Zivilgesellschaft nicht nur für besonders wahrscheinlich, sondern auch für besonders zerstörerisch – übertroffen nur vom drohenden Einsatz von Massenvernichtungswaffen. „Von allen Risiken ist es bei der Umwelt am offensichtlichsten, dass die Welt in eine Katastrophe schlafwandelt“, heißt es in der Studie. Aber auch Datenbetrug und -raub sowie Cyberattacken zählen demnach zu den größten Bedrohungen.
Erst auf Rang zehn der wahrscheinlichsten Risiken steht ein im engeren Sinne ökonomisches: Vermögenspreisblasen in einer größeren Volkswirtschaft. Die Finanzmärkte seien generell unbeständiger geworden, vor allem sei weltweit die Schuldenlast stark gestiegen: Sie betrage rund 225 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts und damit mehr als vor der jüngsten Finanzkrise.
Die Autoren warnen auch vor den Folgen der aktuellen Handelskonflikte, etwa zwischen den USA und China oder zwischen den USA und der EU. „Wirtschaftspolitik (...) wird heutzutage zunehmend als Mittel des strategischen Wettbewerbs gesehen“, heißt es. Dabei betont der Bericht, dass diese Krisen lange nicht vorbei sind. So rechnen 91 Prozent der Befragten mit wirtschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen den wichtigsten Staaten, und 85 Prozent erwarten ein erhöhtes Risiko politischer Konfrontation.
„Die Instabilitäten, die sich entwickeln, offenbaren nicht nur veränderte Machtbalancen, sondern auch die die Tatsache, das die Annahme nach dem Kalten Krieg - vor allem im Westen -, dass die Welt sich auf westliche Normen einigen werde, in naiver Weise optimistisch waren... Diese Unterschiede werden die weltweite Risikolandschaft signifikant prägen – also Sicherheitsbündnisse schwächen und Anstrengungen zum Schutz der globalen Gemeingüter unterminieren.“ Geo-politische und geo-ökonomische Spannungen zwischen den großen Mächten seien die dringendsten, kurzfristigen globalen Risiken. „Wenn eine neue weltweite Krise einträte, wäre dann auch der notwendige Grad an Zusammenarbeit und Unterstützung verfügbar? Wahrscheinlich, aber die Spannung zwischen der Globalisierung der Weltwirtschaft und dem wachsenden Nationalismus der Weltpolitik ist ein zunehmendes Risiko“, heißt es in dem Bericht.
Traditionell stellt das WEF den Weltrisikobericht rund eine Woche vor Beginn der Jahrestagung (22. bis 25. Januar) in Davos in den Schweizer Alpen vor. Die Organisation versteht die Studie als eine Art Leitfaden für die zentralen Fragen des Jahres 2019. Der Bericht ist in diesem Jahr mehr denn je ein Aufruf zur globalen Zusammenarbeit. „Es gab nie einen dringenderen Bedarf für einen kollaborativen und gemeinsamen Ansatz für globale Probleme, die alle angehen“, schreibt Brende im Vorwort des Reports. Die Aussichten dafür betrachtet der WEF-Bericht aber ausgesprochen skeptisch. Mit Blick auf politische und wirtschaftliche Konflikte heißt es: „Vor diesem Hintergrund ist es vermutlich schwieriger, gemeinsame Fortschritte bei anderen globalen Herausforderungen zu erreichen.“
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